Im nächsten Jahr wird alles besser: Die Jugendarbeit in der Verwaltungsgemeinschaft Nesse-Apfelstädtgemeinden mit Neudietendorf als VGSitz wird sich um Koordinierung bemühen.
Bisher ist es so, dass in der Jugendarbeit viele vieles machen, oft nebenher, manchmal sogar gegeneinander. Sich jetzt zu einem Runden Tisch zusammenzufinden ist also keine Reaktion auf das, was mit, durch und nach dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge am 20. April geschah. Zwei junge Neudietendorfer gehörten zu den Tätern. Sie sind nicht die Stellvertreter für die Gesinnung im Dorf – vielmehr hat ihre Tat gezeigt, dass gute Jugendarbeit solche Anschläge letztlich nicht vereiteln kann. Sie kann aber verhindern, dass die, die noch nicht wissen, wo sie stehen, nach rechts abdriften.
Termin bei Annett Schmidt vom Sozialwerk des dfb: Die 34-jährige alleinerziehende Mutter mit einer Tochter „mitten in der Pubertät“ ist hier Projektleiterin. Und das heißt, dass sie für die Jugendlichen ebenso wie die sozial benachteiligten Familien und die ältere Frauen, die gerne bastel wollen, zuständig ist. Sie habe Textilingenieur gelernt , wurde nach der Wende zur Fachgehilfin für Steuer und Recht weitergebildet, seit Juli 2000, ist sie auch Fachkraft für soziale Arbeit – und damit ein schönes Beispiel dafür, dass Berufsleben heute ständige Weiterbildung bedeutet. Im Frühjahr, sagt sie, „da haben uns die Medien die Tür eingerannt“. Jeder wollte etwas über die Täter wissen. jetzt will sie sagen, wie es in der Jugendarbeit seither weiterging. Wobei Jugendarbeit bisweilen vor allem Elternarbeit ist. Denn das größte Problem sind nicht die jungen Rechten im Ort, die es weiterhin gibt. Über die Zahl wird gestritten – auch über deren Gefährlichkeit. Für Annett Schmidt heißt das größte Problem: Drogen – und zwar legale wie illegale. Deshalb setzte das Anti-Gewalt-Projekt auch genau hier an, nach dem Motto: Es ist nicht mutig, zu trinken und dann gewalttätig zu werden. So sehen das wohl auch die Eltern, denn als im Oktober von einem Beamten der Polizeidirektion Gotha die erste Drogenberatung in der Regelschule Neudietendorf stattfand, war der Saal so voll, dass nicht für alle Mütter und Väter die Stühle reichten. Es wurde nicht nur aufgeklärt, die Eltern bekamen auch Anschauungsmaterial. Das muss so spannend gewesen sein – und auch in den Familien Diskussionsstoff geliefert haben, dass anschließend die Jugendlichen ebenfalls zur Drogenberatung eingeladen werden wollten. Thema war das dann bei der gemeinsamen Projektwoche Ende November im Jugendclub. Beteiligt waren Polizei und Awo-Suchtberatung. Zur Projektwoche gehörte auch der Besuch der Gedenkstätte Buchenwald, des Weimarer Hauses und einer Gerichtsverhandlung in Gotha. Dort musste sich ein Jugendlicher wegen schwerer Körperverletzung verantworten. Finanziell unterstützt worden waren die Aktivitäten von der Initiative „Schutz vor Kriminalität“ der Polizeidirektion Berlin-Mitte.
Annett Schmidt ist bei ihrem Bemühen um bessere Jugendarbeit in Neudietendorf nicht allein. Sie unterstreicht vielmehr, das dieses Thema von allen im Dorf sehr ernst genommen werde. Einer, der sie ganz praktisch unterstützt, ist der 24-jährige Lehramtsstudent Hendrik Knop, der nicht nur bei den Pfadfindern vom Stamm Drei Gleichen aktiv ist. Er hat das Streitschlichter-Projekt mitbegleitet. Uni Jena und Schulamt Gotha haben dafür Hilfestellung geleistet. Eine sechste Klasse hat am Konfliktlöse-Training teilgenommen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage: Wie gehen wir miteinander um? Und die beiden Schüler, die schließlich die Ausbildung zum Streitschlichten machen durften, wurden gemeinsam bestimmt. Denn auch das ist in der Jugendarbeit wichtig: dass demokratische Verfahren frühzeitig und als Selbstverständlichkeit eingeübt werden.
Knop, der sich viel mit Kindern und Jugendliches beschäftigt, stellt fest, das sich mittlerweile bereits in der vierten, fünften Klasse ein Gruppenzwang ergibt, der dazu führt, dass manche Kinde sich selbst bei den Rechten einordnen. Wichtig sei, das von Erwachsenen Grenzen aufgezeigt werden, sagt Knop. Und Lehrer müssten einfach wissen, welche Zeichen verboten sind – und daraus dann auch Konsequenzen ziehen Doch dies gelte nicht nur in Neudietendorf, sondern übelall. Im Club, sagt Annet Schmidt, gibt es klare Regeln Verbotenes ist verboten – und wer keine Einsicht zeigt, der erhält Hausverbot. Aber wenn einer mit 14, 15 Jahren sein Haar kurz schert und Springerstiefel trägt, wird er nicht des Hauses verwiesen „Wenn ich das mache, komme ich nicht mehr an ihn ran“, sagt sie. „Vielleicht will er nur cool sein, dazugehören. Und bei uns soll er kennen lernen, was er anders machen könnte“, erklärt sii ihre Strategie. Bei den Pfadfindern sei es ähnlich, betont Knop. Jugendliche sollen merken, dass sie aus sich selbst heraus Kraft schöpfen können, dass sie sich nicht extremen Gruppen anschließen müssen, um ein wenig Beachtung zu finden. Aber das ist ein langer und nicht immer vom Erfolg gekrönter Weg.
Der mächste Schritt ist jetzt die Kooperation zwischen denen, die sich von der Feuerwehr über den Sportverein bis zum Jugendklub um die jungen Leute im Bereich der Verwaltungsgemeinschaft kümmern. Beim Gespräch mit Annett Schmidt wird aber auch deutlich, dass es noch ganz andere Probleme gibt: Familien, in denen nichts stimmt. Kinder, um die sich Eltern so wenig kümmern, dass sie sie zunächst mal in die Badewanne stecken muss. Und der Alkohol ist durchaus nicht nur ein Problem bei den Jugendlichen. Aber Anti-Gewalt-Projekt für Erwachsene sind noch viel schwerer erfolgreich zu realisieren als für Jugendliche.
Gerlinde Sommer, Thüringer Landeszeitung – Hintergrund, 19.12.2000